Reisen und die Sache mit der Toleranz

Der letzte Reisejunkie-Magazin-Artikel über „Reisen und die Sache mit der Ethik“ hat erwartunsgegemäß polarisiert zwischen „längst überfällig“ und „intolerant“: „Der intoleranteste Artikel, den ich seit langem gelesen habe.“ kommentierte zum Beispiel eine Leserin auf Facebook.

Natürlich ist der Artikel „intolerant“! Und das ist Absicht:

Er ist intolerant gegenüber kollektiven Massen-Gewaltphänomenen mit Frauen, Kindern und Tieren als Opfer, die von den jeweiligen Regierungen geduldet oder gefördert werden. Er ist intolerant gegenüber der systematischen und umfassenden Diskriminierung von Frauen und Mädchen in islamischen Scharia-Staaten. Und er ist intolerant gegenüber der Gedankenlosigkeit und Ignoranz, mit der Touristenströme diese Zustände zementieren helfen.

Hätte dieser Artikel auch nur einmal die Wertung „tolerant“ erhalten, hätte ich etwas wesentliches falsch gemacht – denn ich möchte unter keinen Umständen als „tolerant“ gelten gegenüber den beschriebenen Systemen oder den verantwortlichen Menschen.

Die Tatsache allerdings, dass ganz schnell von meiner punktuellen Intoleranz gegenüber Gewalt und Unterdrückung auf generelle Intoleranz als Charaktereigenschaft geschlossen wurde, zeigt, wie sehr der Toleranzbegriff offenbar verkannt wird:

Denn das Wesen echter Toleranz beinhaltet gerade die Intoleranz gegenüber destruktiven Phänomenen wie den von mir beschriebenen.

Der schwedische Schriftsteller Lars Gustafsson brachte die „Logik der Toleranz“ vor einigen Jahren in seinem Beitrag zu der spannenden Perlentaucher-Debatte um Ayaan Hirsi Ali und Ian Buruma auf den Punkt:

„Es gibt eine eigentümliche Interpretation der Toleranz, die diesen Begriff vollkommen bedeutungslos und leer werden lässt. Aber die Aufforderung, dass wir gegenüber allem und jedem in der gleichen Weise tolerant zu sein haben, ist schlicht gedankenlos.

Vielmehr gibt es etwas, das ich Logik der Toleranz nennen möchte. Sie wird von einem künftigen Philosophen noch auszuarbeiten sein, doch möchte ich damit beginnen, indem ich zwei klare Sätze formuliere:

1. Die Toleranz gegenüber der Intoleranz führt zur Intoleranz.

2. Die Intoleranz gegenüber der Intoleranz führt zur Toleranz.

Etwas pathetischer ließe sich auch sagen: In Fragen der Vernunft und der Freiheit haben Gesellschaften genauso wie Individuen eine klare Antwort zu geben. Sie müssen sich entscheiden.“

In diesem Sinne wünsche ich uns allen mehr Mut zur Intoleranz im richtigen Moment. Auch und gerade auf Reisen.

Foto: (c) Karah24/Flickr

 

Du findest den Artikel toll? Dann teile ihn gerne, ich freue mich darüber. Wenn Du keinen neuen BlogBeitrag mehr verpassen möchtest, abonniere einfach das Reisejunkie-Magazin über RSS-Feed.

Tags from the story
More from Reisejunkie Ines
Sigmund Graff
Wir sehnen uns nicht nach bestimmten Plätzen zurück, sondern nach den Gefühlen,...
Read More
Join the Conversation

11 Comments

Leave a comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

  1. Ach, und Oli, dass Dir als Mann, der kein Problem und offensichtlich keine Hemmschwelle hat, in Gewaltkulturen wie Äthiopien herumzureisen und die „Herzlichkeit“ jener Menschen zu feiern, die andere – sollten sie das Pech haben, ihre Töchter zu sein – auf bestialischste Weise quälen, mein Artikel irgendwie „quer“ sitzt, verstehe ich vor diesem Hintergrund auch besser.

    1. says: oli

      Ach Ines,

      glaubst du, ich sehe nicht, was du hier versuchst? Da es dir offenbar auf einer inhaltlichen Ebene nicht gelingi, meine Argumente zu entkräften, versuchst du das nun durch einen Angriff auf meine Persönlichkeit. Das finde ich, ehrlich gesagt, eine sehr niedere Art des Umgangs mit anderen Menschen.

      Zu Äthiopien: Ich vermute mal, dass du auf die Tradition der Mädchenbeschneidung anspielst. Wenn du dich mit dem Thema etwas näher auseinandersetzt, wirst du feststellen, dass die Genitalverstümmelung in Äthiopien seit Jahren rückläufig ist. Wenn du noch etwas genauer hinschaust, wirst du feststellen, dass dieser Rückgang insbesondere in den touristisch stärker frequentierten und wirtschaftlich entwickelteren Regionen deutlich ist. Ob dies nun auf den Dialog mit Touristen zurückzuführen ist oder nicht, lässt sich schwer beurteilen, unstrittig ist aber, dass der internationale Austausch keinen negativen Einfluss hat.

      Wenn du dich mit der Genitalverstümmelung auseinandergesetzt hättest, dann wüsstest du überdies auch, dass gerade engagierte Reisende wie zum Beispiel Rüdiger Nehberg sich mit beträchtlichem Erfolg für ein Ende dieser Unsitte eingesetzt haben. Es lässt sich kaum bestreiten, dass heute mehr Mädchen und Frauen leiden würden, hätte Nehberg Afrika schlicht boykottiert.

      Dass du lieber Kreuzfahrten unternimmst und heile Welt spielst, das kann ich natürlich nachvollziehen. Ebenfalls verstehe ich jeden, der Armut nicht verkraftet und ähnliches. Aber wieso es irgendeinem Mädchen helfen soll, wenn du ihm neben dem Recht auf die körperliche Integrität nun auch noch versuchst, die wirtschaftliche Grundlage zu entziehen, das musst du mir und deinen Lesern erst einmal erklären.

      Nebenbei bemerkt sprechen sich auch Menschenrechtsorganisationen wie zum Beispiel Amnesty International grundsätzlich gegen Reiseboykotte aus. Unter anderem deswegen, weil sie 1. nichts bewirken 2. die Falschen treffen und 3. einen Dialog verhindern.

      1. says: Reisejunkie Ines

        Oli – noch einmal: Es geht nicht NUR um die Wirkung nach außen – sondern um die eigene Abspaltung und Empathielosigkeit, die es erst möglich macht, sich mit solchen Gewalttätern zu umgeben – sich in einem solchen Gewaltumfeld zu bewegen, zumal in einer privilegierten Position.

        Was ist daran eigentlich so schwer zu verstehen? Womöglich werde ich das in einem weiteren Artikel nochmal dezidiert erläutern müssen – denn offensichtlich kommts bis jetzt nicht an.

        Genitalverstümmelungen sind keineswegs rückläufig in Äthiopien – im Gegenteil – gerade gebildete Eliten führen diese Gewalt fort – Addis Abeba gehört zu den Orten mit der höchsten Verstümmelungsrate.

        Eine perverse, kranke Gesellschaft – da kann Dir Rüdiger Nehberg – den ich seit Jahren kenne und dessen einziges Reiseziel das explizite Helfen ist – ein himmelweiter Unterschied zu dem Tourismus, den Du betreibst und mit Deinem Bericht förderst – Details aus’m Nähkästchen erzählen, da brauchst Du aber erstmal nen Kotzeimer – versprochen!

        Die Weigerung westlicher Touristen, in diese Gewaltkulturen zu reisen – und diese Tatsache auch zu kommunizieren – hätte zudem LANGFRISTIG eine hohe Wirksamkeit durch den Druck auf die Regierungen, die diese sadistischen Kollektivverbrechen dulden oder gar fördern. Was ist auch daran so schwer zu verstehen?

        Und last but not least: Welche unqualifizierte Meinug zu diesem Thema ein Old-Boys-Club wie Amnesty vertritt, dem Frauenrechte weitgehend am Arsch vorbeigehen, interessiert mich herzlich wenig.

        1. says: oli

          Deine Rhetorik ist billig und durchschaubar: Du ignorierst Fakten und verunglimpfst renommierte Organisationen, nur weil sie grad nicht in deine Argumentation passen. Dazu passt ja auch, dass du Kommentare löschst. Sag mal ganz ehrlich: Ist dir das nicht peinlich?

          1. says: oli

            Und nun noch kurz zum Inhalt: Die Zahl der Genitalverstümmelungen hat in den letzten Jahren in Aethiopien MASSIV abgenommen.

            Zum Beispiel in der Region Afar im Osten des Landes mussten 2001 ganze 98,6 Prozent der Frauen eine Beschneidung erleiden. 2013 waren es noch 39 Prozent. Die Zahlen sind von unterschiedlichen Studien und deswegen mit Vorsicht zu geniessen. Trotzdem ist der Trend deutlich und unbestreitbar. In Addis Abeba sinkt die Zahl der beschnittenen Frauen jedes Jahr um 5 bis 7 Prozentpunkte. Das sind ohne Frage noch immer zu viel. Aber der Trend zeigt in die richtige Richtung.

            Hier die Quelle: http://www.theguardian.com/world/2015/aug/01/ethiopia-barack-obama-female-genital-mutiliation-villages Und ja ich weiss schon: Was diese Weltverbesserer von The Guardian schreiben, hat für dich keine Bedeutung.

            Was auch noch wichtig ist; Genitalverstümmlung ist in Äthiopien bereits seit über zehn Jahren einen strafbarer Akt. Was sollte da der von dir geforderte Druck übernaupt noch bewirken können?

            Das Problem liegt nämlich wo anders: In schlecht entwickelten Regionen ist es für die Strafverfolgungsbehörden schwer, das Recht durchzusetzen. Und da die Haushalte in der Ecke keine Fernsehgeräte haben, ist es auch schwer, die Botschaften zu übermitteln.

            Es liegt eigentlich auf der Hand und zeigt sich auch in den Statistiken, dass eine wirtschaftliche Entwicklung dabei hilft, die Verbreitung dieser Unsitte einzudämmen. Der Tourismus ist eine der Möglichkeiten, um den wirtschaftlichen Aufschwung zu verstärken.

            Oder um es ganz deutlich zu sagen: Deine Polemik ist menschenverachtend, schädlich und falsch. Wer versucht mit touristischen Boykotten den wirtschaftlichen Aufschwung Äthiopiens aufzuhalten, ist direkt dafür mitverantwortlich, wenn Frauen länger leiden.

            Dass du nicht unter Menschen leben willst, die solche Verbrechen begehen, das kann ich verstehen. Aber die Welt hört nicht zu existieren auf, nur weil du die Augen verschliesst.

          2. Nun nochmal zu DEINEM „Inhalt“: Genitalverstümmelungen haben in Äthiopien keinesfalls „massiv abgenommen“ – im Gegenteil: Sie werden unvermindert weitergeführt. Die Zahlen von 2005, nach denen immer noch mehr als 90% der Afar-Mädchen verstümmelt wurden, haben ihre Gültigkeit behalten: Die angebliche Reduzierung auf „39%“ basiert auf völlig falschen Evaluierungsmethoden – nämlich Befragungen – die schlichtweg für die Tonne sind. Ist wissenschaftlich nachgewiesen schon seit 2002 und von einem der führenden Evaluierungsforscher Deutschlands bestätigt, obwohl der gesunde Menschenverstand bereits ausreicht, um das zu erkennen (siehe auch http://blog.taskforcefgm.de/wp-content/uploads/2011/12/falscheEvaluierungen_Kindernothilfe.pdf)

            Dieser Guardian-Artikel zeigt genau auf, warum die äthiopische Regierung geächtet gehört – z.B. durch Tourismusboykotte: Seit 10 Jahren ist dort Genitalverstümmelung strafbar – doch wird das Gesetz nicht umgesetzt! (was nicht verwundert, da die Täter natürlich auch in Regierung und Behörden sitzen): Allein dieser dubiose „Fall“. Wenn das Gesetz eine Haftstrafe von 5 bis 10 Jahren vorsieht und eine Täterin, die angebeblich 4 Mal „verurteilt“ wird, lediglich 2 Monate absitzen muss, wird das Gesetz ad absurdum geführt! Davon abgesehen, dass 99% der Täter überhaupt keine Strafe zu erwarten haben – obwohl sie leicht zu überführen wären – und das hat NIX mit „entlegenen Gebieten“ zu tun. Aber die Regierung hat kein Interesse daran! DAFÜR gehört sie boykottiert und geächtet!
            Deine völlig substanzlos zusammengesponnene Idee, wirtschaftlicher Aufschwung habe einen Einfluss auf die Gewalttäter hinsichtlich einer Abkehr von ihren Verbrechen, verdreht einmal mehr Ursache und Wirkung und zeigt Deinen eigenen Rassismus, indem Du die Täter für dumm hältst und entschuldigst, weil sie keinen „Fernseher haben“, um irgendwelche Botschaften zu erhalten. Bullshit! Die wissen genau, was sie tun und das einzige, was sie brauchen, ist ein konsequentes Rechtssystem, das sie aufhält (vgl. http://www.taskforcefgm.de/2011/07/english-why-the-approach-of-education-and-information-leads-to-complicity-in-female-genital-mutilation/)

            Die wirtschaftliche – und überhaupt die gesellschaftliche – Entwicklung ist unter den bisherigen Gewaltbedingungen überhaupt nicht möglich, weshalb Milliarden an sog. „Entwicklungshilfe“ auch fruchtlos in den Sand gesetzt wurden und die frauenverachtenden Strukturen noch zementiert wurden!

            Ein konsequenter westlicher Verzicht auf jegliche Unterstützung solcher – staatlich geduldeter – Gewaltstrukturen – könnte überhaupt erst einmal die Grundlage für „wirtschaftlichen“ (und gesamtgesellschaftlichen) Aufschwung geben, siehe auch http://www.taskforcefgm.de/2014/03/ja-genitalverstummelung-und-unabhangikeit-der-frauen-haben-miteinander-zu-tu-aber-anders-als-sie-denken/

            Oder um es mal deutlich zu sagen: Es ist menschenverachtend – genauer gesagt Frauen-und Kinder-verachtend – schädlich und falsch, diesen Gewaltsystemen auch noch zu „wirtschaftlichem Aufschwung“ verhelfen zu wollen – denn sie sind nicht gewalttätig, weil sie unterentwickelt sind sondern sie sind rückständig und unterentwickelt, weil sie repressiv und gewalttätig sind! So rum wird ein Schuh draus. Und solange sie nicht bereit sind, diese Kollektivverbrechen zu beenden, sind sie auch nicht entwicklungsfähig.

            Und ja – ich will mich für kein Geld der Welt mit diesen Gewalttätern umgeben und ich schäme mich für die Ignoranz, Empathielosigkeit und schlichtweg Dummheit aller, die meinen, es sei irgendwie OK, in so einem Umfeld „zu reisen“ und das auch noch promoten. DAS ist es, was man „Augen vor der Realität verschließen“ nennen muss.

            Der bewusste Verzicht auf den Umgang mit einer derart sadistischen Täterkultur basiert auf genauem Hinschauen – und nicht etwa „Augen verschließen“

          3. Als jemand, der in eine Diskussion einsteigt mit der plumpen Aussage, die Gedanken des Gegenübers seien „Schwachsinn“, scheint Dir plötzlich erstaunlich viel an „Fakten“ zu liegen…
            Meine Meinung zu Amnesty habe und vertrete ich seit 20 Jahren – umso mehr, seit sich der Verein jetzt selbst Islamisten andient – da braucht es nicht erst so verquere Ansagen wie Deine.
            Und nochmal: Sollte ich in Erwägung ziehen, Kommentare zu löschen, wären Deine sicher nicht mehr hier. Also erspare mir und den Lesern Deine boshaften Unterstellungen, denn DIE sind in der Tat peinlich

  2. says: oli

    Ich verstehe deinen Trotz. Ich empfehle dir trotzdem, einmal einen Schritt zurückzutreten und dir zu überlegen, wie all das wirkt, was du hier schreibst. Wie es wirkt, wenn Leser und Bloggerkollegen sehen, dass Leute mit anderen Meinungen beschimpfst und ihre Gegendarstellung einfach zensierst.

    Dein Problem ist nicht, dass du populistischen Schwachsinn schreibst. Da bist du ja nicht die einzige. Dein Problem ist der respektlose Umgang mit anderen Menschen, die nicht deiner Meinung sind.

    Für Dich ist es vor allem auch ein strategisches Problem: Du hast es mit deiner Hasstirade gegenüber einer „Hundefresserin“ geschafft, die ganze Bloggerszene gegen dich aufzubringen.

    Du solltest dir als Bloggerin ernsthaft überlegen, ob du als die dumme Pute bekannt sein willst, die mit Intoleranz und Provokation ein paar Leser abgreift. Oder ob die als eine Bloggerin bekannt sein willst, die gute Inhalte schreibt und Leser und Bloggerkollegen respektiert.

    1. Hallo Olli,

      danke für Deinen Kommentar – den ich nicht „zensiere“, obwohl es eine Überlegung wert und legitim wäre, meinen Blog von Beschimpfungen à la „dumme Pute“ freizuhalten.
      Lass’mich aber kurz auf Deine Anwürfe einzugehen:

      1. Ich „beschimpfe“ keine „Menschen mit anderen Meinungen“ – und zensiere auch keine „Gegendarstellungen“ (wenn überhaupt, dann tumbe Pöbeleien), sondern nehme sie auf der sachlichen Ebene auseinander – das dürfte allein aus den zahlreichen Kommentaren und meinen Einlassungen unter meinem Artikel mehr als deutlich werden.
      Wo soll da „Respektlosigkeit“ erkennbar sein?
      2. Was die „Hundefresserin“ angeht, sind meine Aussagen lediglich eine Replik auf deren persönliche Anwürfe und Respektlosigkeiten. Aktion – Reaktion. Wenn die „ganze Bloggerszene“ (und bitte wirklich ALLE) deswegen tobt gegen mich, ist das natürlich ganz, ganz schlimm.
      3. Zum Thema „Respekt“: Es spricht natürlich für eine vorbildliche, respektvolle Haltung Deinerseits, meine Beiträge als „Schwachsinn“ abzuwerten. Da kann ich mir wirklich eine Scheibe von abschneiden.
      4. Danke für Deine „Strategie“-Belehrung. Es geht mir nicht darum „Leser abzugreifen“ sondern zu sagen, was ich denke. Auch mal knallhart und provokativ. Wenn andere mich deswegen doof finden, kann ich damit leben.